
Eine junge Frau sitzt auf einem Teppich am Boden und blättert in einem Buch. Im Raum gibt es nichts weiter als zwei Kissen zum Anlehnen und einen geflochtenen Korb mit einer Pflanze darauf. Was auf den ersten Blick wie eine Szene kurz vor oder nach einem Umzug wirkt, ist in Wirklichkeit ein Dauerzustand. Die junge Frau erklärt auch, warum: Sie führt ein extrem minimalistisches Leben. In ihrem Kleiderschrank befinden sich gerade einmal 23 Kleidungsstücke und in ihrer Wohnung gibt es keinerlei Möbel. Immer mehr Menschen wollen minimalistisch leben und sich von einem Großteil ihrer Habseligkeiten trennen. In den sozialen Medien ist das Thema Minimalismus schon seit Jahren unheimlich beliebt. Influencer*innen und YouTube-Stars filmen sich in ihrer spärlich eingerichteten Wohnung und erhalten teilweise Millionen von Klicks. Doch was ist dran am Minimalismus-Trend? Und macht er wirklich glücklich?
Warum zieht Minimalismus so viele Menschen magisch an?
Endlich raus aus den Klauen der Besitztümer!

Wie ließe sich ein besseres Statement gegen den Kapitalismus setzen als durch Konsumverweigerung? Der Wertewandel hin zu einem nachhaltigen, umweltbewussten Lebensstil rückt mit Nachdruck vorwärts: Anstatt sich neue Klamotten zu kaufen, steigen viele auf Second-Hand-Ware um. Initiativen wie Foodsharing, Carsharing oder anderweitige Leihplattformen sind stark im Kommen. Und Unverpackt-Läden tragen dazu bei, dass manche Haushalte ihren privaten Müll auf ein absolutes Minimum reduzieren können. All diese Bewegungen stehen im Zeichen des bewussten Umgangs mit Ressourcen.
Hinzu kommt: Wir sehnen uns nach Einfachheit. Unsere Welt dreht sich schneller und schneller, wird komplexer und verworrener. Kein Wunder, dass wir uns übersättigt fühlen vom ständig rauschenden Informationsfluss, den blinkenden Werbeschildern und Produktmassen, die um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Das Gegenmittel? Minimalismus. Ein Wohnraum, der nicht vor Möbeln, Deko und Krimskrams überquillt. Stattdessen: Ordnung, Kontrolle und Übersichtlichkeit. Eine aufgeräumte Wohnung spart nicht nur Zeit, sie nimmt uns auch reichlich psychischen Druck von den Schultern. Studien belegen sogar, dass ein sauberes, sortiertes Umfeld unser seelisches Wohlbefinden steigert.

Lesetipp: Richtig aufräumen: 21 wertvolle Lektionen von Marie Kondo
Die faszinierende Wirkung des Wörtchens „Freiheit“



Ein weiterer Faktor in Sachen Besitztum: Unsere Gesellschaft verschreibt sich zunehmend der Selbstoptimierung und Persönlichkeitsentwicklung. Menschen möchten nicht einfach nur leben – sie möchten sich verwirklichen. Um dieses Ziel zu erreichen, beschäftigen sich vor allem viele junge Erwachsene mit Strategien, um innerlich zu wachsen und ihre Produktivität zu steigern. Ein minimalistischer Lebensstil kann sich dabei zu einem gewaltigen Sprungbrett mausern.
Minimalismus verfolgt das Motto: Wer wenig besitzt, muss sich auch um wenig kümmern. Bedeutet im Umkehrschluss: Weniger Besitz = mehr Zeit für die eigene Entwicklung. Warum ein ganzes Ensemble an Tellern und Tassen im Schrank horten, wenn jeweils ein einzelnes Exemplar reichen würde? Warum sich mit einem ganzen Schrank voller Kleidungsstücke, Schuhe und Taschen belasten, wenn wir ohnehin immer nur ein Outfit tragen können?
Wer auf ständigen Konsum verzichtet und sein Zuhause mit nur wenigen ausgewählten Stücken ausstattet, kann mehr im Hier und Jetzt leben. Schließlich gibt es kaum Ablenkung in den eigenen vier Wänden. Auf diese Weise liegt der Fokus auf dem, was das Leben wirklich bereichert – die Verbindung nach innen, Beziehungen und schöne Erlebnisse. Der Effekt? Ein einzigartiges Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit.
Soweit jedenfalls die verlockende und in den sozialen Medien allseits gepushte Minimalismus-Theorie …
Minimalistisch leben: Die geheimen Abgründe hinter dem Trend
Minimalismus kann teuer sein
Beim Anblick der karg eingerichteten Zimmer einiger Influencer*innen mag in uns schnell der Trugschluss aufkommen: „Na, so ein Lebensstil spart bestimmt ordentlich Geld!“ Doch ist dem tatsächlich so? Oder versteckt sich hinter dem ach so reduzierten Konsumverhalten in Wirklichkeit ein teures Geheimnis?


Die Wahrheit ist: Minimalismus muss man sich erst einmal leisten können. Ein minimalistisches Leben kostet nämlich mehr Ressourcen als gedacht. Das Ausmisten, Sortieren und Verkaufen von Habseligkeiten ist nicht mal eben in 5 Minuten erledigt. Minimalisten setzen viel Zeit und Kraft ein, um ihr Zeug zunächst einmal loszuwerden. Anschließend stellen sie sich den Herausforderungen des bewussten Konsums, stets geleitet von den Fragen: Was kaufe ich mir überhaupt noch? Und worauf verzichte ich komplett?

Einige Minimalisten stolpern allerdings über ein ganz anderes Problem. Beim Nacheifern ihrer Vorbilder und Idole stellen sie fest, dass der Konsumverzicht ganz schön ins Geld gehen kann. Denn wenn schon nur noch eine einzige Tasse im Schrank stehen und nur 23 Kleidungsstücke in der Kommode liegen sollen, müssen zumindest die doch etwas Besonderes sein, oder? Exklusivität kostet jedoch Geld – und das nicht wenig.
Wer seinen minimalistischen Lebensstil auch auf das Thema Ernährung ausdehnen möchte, wird sich bemühen, möglichst gesunde und nachhaltige Lebensmittel zu kaufen. Wieder ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor, der sich nur begrenzt minimieren lässt – denn aufs Essen können wir schließlich nicht verzichten. Alles in allem wird also deutlich: Minimalismus ist längst nicht so günstig, wie es scheint.
Seelenlose Alternativen zu gegenständlichem Besitz
Klar – mittlerweile gibt es für fast alles einen digitalen Ersatz. Wir können unsere lang gehegten CDs und Schallplatten gegen Streaming-Dienste austauschen. Statt neuer Bücher holen wir uns einfach ein Kindle. Und auch unsere guten alten Brettspiele fegen wir vom Tisch, um uns auf der nächsten Online-Spiele-Plattform anzumelden. Alles kein Problem! Oder doch?
„Moment mal!“, werden jetzt viele einwenden. „Ich blättere aber lieber zwischen echten Seiten aus Papier! Und meine geliebten CDs gebe ich auch nicht her!“ Den meisten Menschen würde ohne ihre geliebten Habseligkeiten einfach etwas fehlen – und das ist auch kein Wunder. Schließlich handelt es sich bei Büchern, Fotoalben, Spielen, Zeitschriften, Schallplatten und Co. nicht einfach nur um tote Gegenstände. Ganz im Gegenteil: Oftmals verbinden wir damit eine Menge Gefühle und Erinnerungen, die unser Leben bis heute prägen. Eine digitale Alternative könnte diese emotionale Beziehung niemals ersetzen, geschweige denn neu knüpfen. Wie seelenlos wäre unser Alltag, würden wir auf gegenständlichen Besitz nahezu komplett verzichten, wie es einige Extrem-Minimalisten tun? Die Antwort auf diese Frage darf jeder für sich persönlich finden.
Eine denkwürdige Vernichtung aller Besitztümer
Soll das heißen, mit Minimalismus fahren wir unser Leben schnurstracks gegen die Wand? Nein! Wie so häufig macht auch hier die Dosis das Gift. Fest steht: In exzessivem Aussortieren bis hin zum letzten Ausrotten unserer persönlichen Dinge finden wir wohl eher kein dauerhaftes Glück. Das beweist auch das Beispiel des Künstlers Michael Landy. 2001 inszenierte der Brite eine Aufsehen erregende Performance in einer ehemaligen Londoner C&A-Filiale1. 7227 Gegenstände zählten damals zu seinem Besitz – und sie alle ließ er innerhalb von 14 Tagen vor den Augen von mehr als 50.000 Zuschauern buchstäblich schreddern. Zum Schluss blieb von seinem Eigentum nichts weiter übrig als nur der blaue Overall, den er am Körper trug.
„Es war, als würde ich meine eigene Beerdigung miterleben“, beschrieb Landy im Nachgang seine Eindrücke. Während dieser einschneidenden Erfahrung durchlebte der Künstler verschiedene Emotionen – vom Gefühl der Befreiung bis hin zur inneren Unsicherheit, als seine Mutter weinend in das Szenerio hereinplatzte. Bezeichnend ist, dass Michael Landy anschließend etwa ein Jahr lang keinerlei Kunst mehr machen konnte. Ein hoher Preis für die Trennung vom eigenen Hab und Gut. Mittlerweile hat sich Landy logischerweise neue Besitztümer angeschafft. Ob er die Aktion nochmal wiederholen würde? Das verneint der heute 61-Jährige.

Wohlfühl-Minimalismus für alle, die den gesunden Mittelweg nehmen wollen
Die Zonen-Methode für mehr Balance
Einen Mittelweg – gibt es den überhaupt? Da kommt der altbekannte Spruch ins Spiel: Wo ein Wille ist, ist auch ein (Mittel-)Weg. Soll heißen: Wenn es bislang noch keinen Wohlfühl-Minimalismus gab, dürfen wir ihn durchaus kurzerhand einfach erfinden!
Wie könnte der denn aussehen – so ein gemütlicher minimalistischer Lebensstil? Um die Schere zwischen den Extremen zu meistern, hilft immer eine Prise Gefühl und Klarheit. In einer Wohnung mit nackten Zimmern zu leben, macht den wenigsten Freude. Wir Menschen mögen es warm und kuschlig. Ein Zuhause, das dieses Bedürfnis widerspiegelt, muss nicht automatisch vor lauter Möbeln und Klumpatsch ersticken. Wohnlich wird es auch mit einigen wenigen, lieb gewonnenen Stücken.
Was heißt das für die Praxis?
Räume in Zonen einzuteilen ist eine gute Möglichkeit, einen gesunden Minimalismus zu pflegen. Wenn wir es ganz genau nehmen wollen, mag sogar eine prozentuale Einteilung helfen: 80 % des Raumes sind funktional, aufgeräumt und übersichtlich (dieser Bereich wirkt etwas kühler). 20 % des Raumes übernehmen die Rolle der „Kuschelecke“, die auch mal zerwühlt, unsortiert oder unordentlich sein darf (dieser Bereich wirkt lässig und einfach ungezwungen).
Ideale Möbel für eine Kuschelecke:
Aussortieren oder behalten? Ein Denkanstoß

Was heißt das für die Praxis?
Aussortieren ist völlig okay und befreit uns manchmal auch von seelischem Ballast. Aber wir müssen es nicht übertreiben. Souvenirs, Lieblingsstücke und andere schöne Dinge dürfen bleiben. Schließlich tut es manchmal einfach gut, ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen. Nicht zuletzt zeigen viele Menschen ihre Fotos, Postkarten, Mitbringsel und Andenken auch gerne ihren Kindern und Enkeln. So manches besondere Stück wird sogar über Generationen hinweg vererbt und in Ehren gehalten. Doch dafür muss es auch erst einmal aufgehoben werden!
Ja, es darf auch mal was in der Tonne landen. Aber das muss nicht gleich damit enden, dass nur noch eine einsame Tasse im Küchenschrank ihr Dasein fristet. Wie machen Extrem-Minimalisten das eigentlich, wenn Besuch kommt? Muss der dann seinen eigenen Kaffeebecher mitbringen? Lassen wir diese Fragen einfach mal so stehen …
Wir finden: Ein striktes „Weniger ist mehr“ tut nicht immer gut. Das Zuhause darf ruhig auch noch Spielraum für spontane Bedürfnisse und Interessen lassen. Manche Dinge sind nicht überflüssig, sie machen unser Leben aus. Zum Beispiel die Möglichkeit, sich nach einem Jahr Strick-Pause eines Abends mal wieder die Nadeln zu schnappen. Oder bei einem akuten Kreativausbruch auf eine kleine Bastelkiste zurückgreifen zu können. Wie schade wäre es, wenn da gar nichts zum Zurückgreifen wäre! Wenn Spontanität in dieser Form gar nicht möglich wäre!

Zeigt also: Manche Kleinigkeiten sind durchaus wertvoll und zeichnen unseren Weg durchs Leben. Das beweisen auch zahlreiche Kommentare zum Thema Minimalismus. So schrieb jemand online: „Wer Dinge weggeben hat, die einem wichtig waren, … die einem am Herzen lagen, hat den Minimalismus nicht verstanden.“
Mit Lieblingsstücken wohnen, die gar nicht mal dick auftragen
Fest steht wohl: Minimalismus lässt sich sehr individuell definieren und ausleben. Wer einen goldenen Mittelweg gehen möchte, wird sich mit ausgewählten Lieblingsstücken bestimmt am wohlsten fühlen. Das sind Möbel, die eine Wohnung nicht überfrachten, sondern sie auf dezente Weise behaglich machen.
Was heißt das für die Praxis?
- Farbgestaltung: Natürliche, helle Töne wie die Trendfarbe Beige, ein zartes Grau oder pastelliges Grün sorgen schon von sich aus für eine unaufdringliche Optik.
- Dekoration: An die Stelle vieler kleiner Deko-Elemente treten einige wenige Stücke, die dafür umso mehr Ausstrahlung haben. Das könnten beispielsweise eine kräftig kolorierte Vase oder ein etwas auffälligeres Kissen sein.
- Wandgestaltung: Statt einer vollgehängten Wand reicht ein einziges großes Kunstwerk oder ein Statement-Bild, um den Raum zu beleben.
- Materialwahl: Mit natürlichen Materialien wie Holz, Stein, Baumwolle oder Leinen wirkt eine Wohnung zeitlos und aufgeräumt.
- Möbel: Für ein minimalistisches Gesamtbild sind Möbel mit klaren Linien und schlichten Formen ideal. Anstatt jede Ecke des Raumes zu gestalten, können Sie mehr Luft lassen und Ihre Wohnung dafür lieber mit ausgewählten Highlights einrichten. Auch eine grifflose Küche wirkt elegant und zurückhaltend.

Beispiele für minimalistische Möbel

- Schlichte Wohnwand: Ein Modell mit klarer Linienführung und geschmackvollen Extras wie integrierter Beleuchtung sorgt für Ordnung und einen aufgeräumten Look.
- Schwebendes Sideboard: Ein an der Wand montiertes Sideboard in neutralen Farben wirkt leicht und modern.
- Filigraner Esstisch: Ein Tisch aus hellem Holz oder Glas mit schmalen Metallbeinen fügt sich harmonisch ein, ohne zu wuchtig zu wirken.
- Sofa mit klarer Form: Ein schlichtes Sofa ohne auffällige Muster, mit geraden Linien und schmalen Armlehnen passt wunderbar in eine minimalistische Wohnung.
- Skandinavischer Sessel: Ein einzelner, puristisch designter Sessel aus Holz und Stoff, der Komfort und Stil vereint, trägt nur wenig auf.
- Reduzierte Kleiderschränke: Schränke mit glatten, grifflosen Fronten oder in mattem Weiß, die sich fast unsichtbar in den Raum integrieren, sind ideal für Minimalisten.
Quellen:
– 1https://www.theguardian.com/artanddesign/2021/jan/27/like-witnessing-my-own-funeral-michael-landy-shredding-everything-owned-yba-break-down
– 1https://www.theartnewspaper.com/2021/02/10/like-witnessing-my-own-funeral-michael-landys-possession-pulverising-performance-piece-break-down-turns-20
Verfasst aus unserem Team von
Melina
Melina gehört seit Oktober 2023 zur Möbel Heinrich Familie. Hier gestaltet sie den Kunden-Newsletter, verfasst SEO-Texte und erstellt Content für das Online-Magazin. In ihrer Freizeit ist die gelernte Bankkauffrau meist auf dem Rad oder im Wald beim Geocaching unterwegs.
